Früher kannten die Karakalpaken zwei Arten von Behausungen – die übliche Jurte, Kara-uy genannt, die mit dunklem Filzstoff überzogen war, und die prachtvolle, wunderschön verzierte Otau-uy-Jurte für jungvermählte Paare, die mit hellem Filzstoff bedeckt war. Jedes Lehmgebäude besaß einen Hof, der im Winter als freie Fläche für das Aufstellen einer Jurte genutzt wurde. Im Sommer wurde die Jurte in der Nähe eines Kanals und im Schatten der Bäume um das Anwesen herum gestellt. Durch das Öffnen der Wandbehänge konnte ein Luftkorridor geschaffen werden. Heute wird die Jurte nur während der heißen Sommerperiode genutzt.
Die Konstruktion einer Jurte beginnt mit dem Aufstellen einer Tür. Verschiedene Arten von Jurten werden aus 6, 8, und seltener auch 12 gefalteten Teilen (Kanat) und dem stützenden Gitteraufbau (Kerege) errichtet. Die Jurte lässt sich in wenigen Stunden auf- und abbauen.
Die karakalpakische Jurtenkonstruktion weist besondere Eigenheiten auf. Die Speichen der Krone sind gerade und biegen sich nur am unteren Ende, wo sie mit dem Gitter verbunden sind, wodurch das Dach eine konische Form erhält. Das Jurtendach und das Gitter werden durch breite, weiße Bänder verbunden. Anschließend wird das Dach mit Filzstoff abgedeckt und die Wände mit doppellagigen Matten behangen. Seit frühester Zeit wird die Tür einer karakalpakischen Jurte auf der Südseite angebracht. In diesem Fall wird der „Ehrenplatz“ gegenüber dem Eingang als der komfortabelste Teil des Raumes empfunden – kühl im Sommer und warm im Winter. Die Dachkrone (Schanarak) besteht aus zwei Reifen, die durch pfeilförmige Bolzen verbunden sind. Das Gewicht der Schanarak hält den Rahmen der Jurte zusammen und fungiert als Fenster. Früher wurde sie im Winter auch als Rauchabzug genutzt, weshalb der Herd in der Mitte des Raumes platziert war. Generell soll es in der Jurte keine unnützen Dinge geben. Daher wurde in einer karakalpakischen Jurte jeder von Frauen gewebte und verzierte Läufer zur praktischen Befestigung und Bedeckung eines Rahmens verwendet. Die Läufer banden das Wandgitter und die Kronenspeichen zusammen und halfen, die Wandbehänge und den Dachfilz zu fixieren.
DIE WELTENTSTEHUNGSLEHRE DER JURTE
Bereits seit der Antike wurde die Jurte mit dem Kosmos gleichgesetzt und in zwei gleiche Teile geteilt. Hier wird die Idee eines Gleichgewichts gegensätzlicher Prinzipien und ihrer ewigen Wechselwirkung zum Ausdruck gebracht. Es war die Idee einer geordneten Welt, der Unendlichkeit des Lebens und Unverletzbarkeit des Universums. Daher wurde die Jurte in zwei Teile unterteilt: einen männlichen (On-jak) und einen weiblichen (Sol-jak). On-jak befand sich links vom Eingang. Es wurde zur Aufbewahrung männlicher Arbeitsbekleidung, von Musikinstrumenten, Reitausrüstung, Gewehren sowie männlicher Jagd- und Handwerksgegenstände verwendet. Dieser Abschnitt wurde als Wohnstätte geistiger Schutzpatrone angesehen. Im Sol-jak-Abschnitt wurden Kleiderbündel, Ständer (Sab-ayak) für große Schüsseln und Waren, Kessel, Wasserbehälter und weibliche Handwerksgegenstände aufbewahrt. Der Innenbereich wurde mit Muschel in Verbindung gebracht – einem antiken, 12-jährigen Tierkreiskalender.
Die heiligen Bereiche der Jurte umfassen: den Eingang – Bosaga (Schwelle), ein Zentrum – Oschak (Herd), und einen Ehrenplatz – Tor (der Platz gegenüber dem Eingang). Der Tor war prachtvoll dekoriert. Ein Netz (Bes-kur) aus rotverzierten Borten (Kizil-kur) breitete sich darüber aus, während der Tor selbst mit Teppichen und Vorlegern geschmückt war. Mehrere Schränke (Sandik) mit Decken und Teppichtaschen (Karschin) wurden neben dem Tor platziert. Tor bedeutete Platz des Hausbesitzers. Wenn die Familie einen ehrenvollen Gast empfing, wurde ihm der Platz angeboten oder in den On-jak-Abschnitt ausgebreitet.
Die Kuppelkrone (Schanarak) und der Herd symbolisierten die Sonne und ihre irdische Hypostase – das Feuer. Sie wurden als Pfeiler des Universums und Familienwappen angesehen. Amulette aus Garn (Ayak-bau) wurden an den Felgenring gehängt. Sie standen für Lichtstrahlen (Nur) und die Peitsche des Schamanen (Kamschi). Das Fadenkreuz war an den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet. Es war immer offen und wurde nur bei schlechtem Wetter abgedeckt. Dies erlaubte die Beobachtung der Gestirne und der Sonne zur Zeitbestimmung.